Vielfalt erinnern: Wie Pulheimer Förder-Schüler:innen die Gedenkstätte mit einem inklusiven Media-Guide neu erlebbar machen

Lara Basten

Wer die Gedenkstätte Brauweiler betritt, betritt einen Ort mit schwerem historischen Erbe. Die ehemalige NS-Arbeitsanstalt auf dem Gelände der Abtei ist seit 2008 ein zentraler Erinnerungsort in der Region. Doch wie kann man die Geschichte dieses Ortes so erzählen, dass sie auch wirklich alle erreicht? Diese Frage stand am Anfang eines ganz besonderen Projekts, das in der zweiten Jahreshälfte 2024 seinen Lauf nahm – und nun mit der Vorstellung des neuen inklusiven Media-Guides einen starken Meilenstein gesetzt hat.

Was dabei entstand, ist weit mehr als ein technisches Angebot: Es ist ein beeindruckendes Ergebnis gelebter Inklusion, historischer Bildung und partizipativer Kulturarbeit – getragen von Schüler:innen der Abschlussklassen der LVR-Donatus-Schule und der Förderschule an der Jahnstraße in Brauweiler. Gemeinsam mit Isabel Gennen-Mücke und dem Team der Gedenkstätte arbeiteten sie über Monate hinweg an Texten in Leichter Sprache, entwickelten Piktogramme und nahmen Audiobeiträge auf – selbst verfasst, selbst eingesprochen, selbst überprüft. So entstand ein neuer Zugang zu einem der schwierigsten Kapitel deutscher Geschichte – und zwar für alle.

Was sich im Ergebnis einfach anhört oder liest, war ein intensiver Prozess mit viel Austausch, zahlreichen Diskussionsrunden und insgesamt 14 Workshops. In enger Zusammenarbeit wurde nicht nur über Inhalte gesprochen, sondern auch hart disktuiert: Welche Begriffe sind verständlich? Welche Bilder transportieren Gefühle und Fakten gleichermaßen? Und welche Perspektiven fehlen womöglich noch? So kam es etwa durch die Initiative von Kay, einem Schüler der LVR-Donatus-Schule, zur Ergänzung eines wichtigen Aspekts: die Lebenswelt der Jugendlichen in Brauweiler während der NS-Zeit. Kay wählte Josef Koll als Beispiel, recherchierte selbstständig und verfasste schließlich den Beitrag für Mediaguide-Punkt 6 – ein Beweis für das Empowerment, das dieses Projekt geleistet hat.
Jene Texte, die am Anfang alles begründeten, sind so nicht mehr jede, die nun am Ende Einzug in das Werk gefunden haben. Ein wahrhaft lebendiger Prozess.

Die Texte des Guides wurden zertifiziert. Sie orientieren sich an den Bedürfnissen von Menschen mit kognitiven Einschränkungen, Leseschwäche, Sehbehinderung oder geringen Deutschkenntnissen. Ergänzt durch eigens entwickelte, klar verständliche Piktogramme, können die neun Stationen der Gedenkstätte via QR-Code mit dem eigenen Endgerät oder mit einem vor Ort verfügbaren Leihgerät abgerufen werden – per Audio oder als Text in Leichter Sprache. Damit wird die Geschichte der Gedenkstätte nicht nur barriereärmer, sondern auch emotionaler und zugänglicher.

Das Projekt war nur möglich durch das außergewöhnliche Engagement der Lehrkräfte, Schulbegleiter:innen und nicht zuletzt der 18 beteiligten Schüler:innen. Sie alle trugen das Projekt mit – verlässlich, kreativ, reflektiert. Bei keinem Treffen waren weniger als zwölf Schüler:innen anwesend – eine beeindruckende Quote, die zeigt, wie ernsthaft und begeistert sich die Jugendlichen eingebracht haben. Dabei wurde auf Augenhöhe gearbeitet. Es war ein Lernraum im besten Sinne: offen, fehlerfreundlich, demokratisch. Ein Projekt, das Selbstwirksamkeit fördert – und damit auch zeigt, was Inklusion in der Praxis bedeuten kann.

Finanzielle Unterstützung kam von der NRW.Bank und von Sylvia Löhrmann, der Beauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen für die Bekämpfung des Antisemitismus, für jüdisches Leben und Erinnerungskultur. Dass solche Institutionen gerade jetzt, in einer Zeit wachsender Geschichtsverzerrung und antisemitischer Tendenzen, Projekte wie dieses mittragen, ist von unschätzbarem Wert. Denn Erinnerungskultur braucht nicht nur Räume, sondern auch neue Formen, damit sie lebendig bleibt – und allen offensteht.

Bei der feierlichen Vorstellung des Media-Guides würdigte Dr. Corinna Franz, LVR-Dezernentin für Kultur, das Engagement der Jugendlichen und der Projektverantwortlichen. Auch die Förderpartner Christian Müller (NRW.Bank) und Sylvia Löhrmann sprachen Grußworte, bevor Schüler:innen selbst von ihren Erfahrungen berichteten. In ihren Worten wurde deutlich, wie viel mehr dieses Projekt war als eine schulische Aufgabe: Es war Begegnung, Herausforderung, Horizonterweiterung – und für viele der erste tiefere Kontakt mit der Gedenkstätte vor ihrer Haustür.

Der neue inklusive Media-Guide setzt einen Maßstab – nicht nur für die Gedenkstätte Brauweiler, sondern auch für zukünftige Projekte, in denen Erinnerungskultur, Jugendbeteiligung und Inklusion zusammen gedacht werden. Es bleibt zu hoffen, dass dieser erste Schritt viele Nachfolger findet. Ideen gibt es sicherlich.

Ein Besuch der Gedenkstätte Brauweiler ist also aus vielen Gründen lohnenswert – wegen der Geschichte, wegen der wichtigen Fragen, die dort gestellt werden, und jetzt erst recht wegen des inklusiven Media-Guides. Die Gedenkstätte ist zu den Öffnungszeiten für alle frei zugänglich – und durch dieses neue Angebot gibt es nun wirklich keinen Grund mehr, nicht (noch einmal) zu kommen.


Wer schon mal Interesse hat im Vorfeld in die Texte und Audiofiles des inklusiven Mediaguides hineinschnuppern, wird hier fündig:
inklusiver Mediaguide - Punkt 1: https://mediaguide.abteibrauweiler.lvr.de/guide/de/250
inklusiver Mediaguide - Punkt 2: https://mediaguide.abteibrauweiler.lvr.de/guide/de/251
inklusiver Mediaguide - Punkt 3: https://mediaguide.abteibrauweiler.lvr.de/guide/de/252
inklusiver Mediaguide - Punkt 4: https://mediaguide.abteibrauweiler.lvr.de/guide/de/253
inklusiver Mediaguide - Punkt 5: https://mediaguide.abteibrauweiler.lvr.de/guide/de/254
inklusiver Mediaguide - Punkt 6: https://mediaguide.abteibrauweiler.lvr.de/guide/de/255
inklusiver Mediaguide - Punkt 7: https://mediaguide.abteibrauweiler.lvr.de/guide/de/256
inklusiver Mediaguide - Punkt 8: https://mediaguide.abteibrauweiler.lvr.de/guide/de/257
inklusiver Mediaguide - Punkt 9: https://mediaguide.abteibrauweiler.lvr.de/guide/de/258