Erna Wagner-Hehmkes Blick auf den demokratischen Neubeginn – Eine Ausstellung, die Geschichte lebendig macht
Das Grundgesetz ist nun mehr als 75 Jahre alt. Und doch ist es ungebrochen aktuell und wichtig. Es zu verteidigen bleibt täglich Aufgabe aller.
Der 1. September 1948 – ein Datum, das vielen von uns zunächst wenig sagt. Und doch war dieser Tag historisch: In Bonn trat der Parlamentarische Rat zusammen, um den Grundstein für unser heutiges demokratisches Zusammenleben zu legen, mit einem Wertekanon, der unser Miteinander bis heute prägt.
Wie vielschichtig, vielstimmig und menschlich dieser Prozess tatsächlich war, zeigt die beeindruckende Fotoausstellung „Der Weg zum Grundgesetz – Fotografien von Erna Wagner-Hehmke“, die derzeit im LVR-Industriemuseum St. Antony-Hütte in Oberhausen zu sehen ist. Unser Mitglied der Landschaftsversammlung, Lara Basten, war bei der Ausstellungseröffnung am 5. Juni vor Ort. Ihre Eindrücke nach dem Besuch der Ausstellung unterstreichen: Der Weg zur Demokratie war ein komplexer, lebendiger Prozess, geprägt von intensiven Auseinandersetzungen, bewegten Momenten und einem gemeinsamen Ringen um die Grundlagen unseres Zusammenlebens.
Als eine der wenigen Frauen ihrer Zeit war Erna Wagner-Hehmke erfolgreich Berufsfotografin. Sie erhielt 1948 durch die nordrhein-westfälische Landesregierung den besonderen Auftrag, den Parlamentarischen Rat fotografisch zu begleiten. Dabei dokumentierte sie nicht nur die offiziellen Sitzungen und bekannten Gesichter der Verhandlungen. Sie machte auch diejenigen sichtbar, deren Arbeit oft im Unsichtbaren liegt: Die Fahrer im Bereitschaftsdienst, die neugierigen Bürger:innen vor den Fenstern, die stillen Helfer:innen im Hintergrund. Sie alle sind Teil ihres fotografischen Erzählens. Ohne Pathos, ohne Inszenierung, aber mit großer Nähe und Respekt.
Wagner-Hehmkes rund 4.600 Fotografien rund um den Parlamentarischen Rat und die erste Sitzung des neuen Bundestags aus dem Besitz der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sind mehr als nur historische Dokumente. Sie sind ein lebendiger Spiegel des demokratischen Neubeginns nach der Diktatur – und zeigen in ihrer Klarheit, wie zerbrechlich, aber auch wie kraftvoll dieser Prozess war. Besonders wichtig auch jene Aufnahmen, die informelle Momente festhalten wie kleine Begegnungen am Rhein, Szenen, die sonst verloren gegangen wären, hätte Wagner-Hehmke sie nicht mit der Kamera eingefangen.
Die Ausstellung macht auch deutlich, wie wichtig das Medium Schwarz-Weiß-Fotografie für das historische Erzählen ist. Schwarz-Weiß reduziert das Bild auf das Wesentliche, lenkt den Blick auf Ausdruck, Gestik und Atmosphäre. Es nimmt die Zeitlichkeit aus dem Moment und verleiht den Bildern eine zeitlose Kraft. Gerade weil keine Farbe ablenkt, wirken die Fotos von Wagner-Hehmke eindringlicher, unmittelbarer und erinnern daran, dass Demokratie kein fertiger Zustand, sondern ein gemeinsamer Weg ist.
Die Aufnahmen zum Parlamentarischen Rat wurden der Stiftung Haus der Geschichte von Erna Wagner-Hehmke noch zu Lebzeiten überlassen. Jedoch ist der Verbleib der übrigen Fotos aus ihrem Besitz, ihr fotografischer Nachlass, der ihr gesamtes künstlerisches und berufliches Wirken dokumentieren, bislang ungeklärt; die Stiftung Haus der Geschichte sucht weiterhin nach diesen bedeutenden Zeitzeugnissen.
Die Ausstellung „Der Weg zum Grundgesetz – Fotografien von Erna Wagner-Hehmke“ ist noch bis zum 28. September 2025 im LVR-Industriemuseum St. Antony-Hütte in Oberhausen zu sehen. Sie ist eine Einladung, sich mit den Wurzeln unserer Verfassung auseinanderzusetzen und die Menschen zu würdigen, die sie möglich gemacht haben. Sichtbar und unsichtbar. Prominent und namenlos. Menschlich und politisch.
Direkt neben der Ausstellung von Erna Wagner-Hehmke ist auch eine Fotoausstellung von Anne Winterer zu sehen. Sie war nicht nur ihre langjährige Weggefährtin und Partnerin im gemeinsamen Fotostudio in Düsseldorf (1925–1935), sondern auch ihre frühe Mentorin: Nach nur zwei Jahren Studium war es Anne Winterer, die an das Talent von Erna Wagner-Hehmke glaubte und nach Gründung des gemeinsamen Ateliers in Fotografie ausbildete. Ihre Arbeiten nun wieder vereint auszustellen, würdigt zwei beeindruckende Künstlerinnen der Weimarer Zeit und frühen Bundesrepublik – und macht sichtbar, wie viel Frauen zur fotografischen Dokumentation unserer Geschichte beigetragen haben.