Edith-Ennen-Wissenschaftspreis 2024: Geschichtswissenschaft, die Grenzen überwindet – DIE LINKE im LVR gratuliert den Preisträgern
Am 19. Juni 2024 wurde im LVR erstmals der Edith-Ennen-Wissenschaftspreis verliehen – ein neues Kapitel für einen etablierten Preis. Der LVR würdigt mit der neuen Namensgebung das wissenschaftliche Lebenswerk von Edith Ennen (1907–1999), einer Rheinländischen Pionierin der Geschichtswissenschaft. Ennen war nicht nur eine der ersten Professorinnen ihres Fachs, sondern auch eine Wegbereiterin der Stadt- und Frauengeschichtsforschung. Ihre Verbindung von wissenschaftlicher Exzellenz mit gesellschaftlichem Verantwortungsbewusstsein macht sie zur idealen Namensgeberin für den Forschungspreis des LVR.
Für die Fraktion Die Linke im LVR nahmen Wilfried Kossen und Lara Basten an der Preisverleihung teil – und waren beeindruckt von den beiden ausgezeichneten Dissertationen, die beide mit großer analytischer Schärfe zentrale Fragen unserer Vergangenheit neu beleuchten.
Geehrt wurde Dr. Markus Jansen mit der Dissertation „Stadtelite und Rittertum – Eine neue Perspektive auf das spätmittelalterliche Köln“. In dieser entwirft Dr. Markus Jansen ein radikal neues Bild der Kölner Stadteliten des Spätmittelalters. Seine zentrale These: Die urbane Oberschicht Kölns war eng mit der Welt des Rittertums verflochten – nicht als Randerscheinung, sondern als integraler Bestandteil einer gemeinsamen adligen Lebenswelt, in der Stadt und Land vielfach ineinandergriffen.
In ihrer Laudatio würdigte Prof. Dr. Marita Blattmann nicht nur die außergewöhnliche methodische Tiefe und Materialfülle der Arbeit, sondern auch Jansens wissenschaftlichen Weg zum Thema. Sie betonte seine interdisziplinäre Herangehensweise, die schriftliche, bildliche und materielle Quellen zusammenführt – von Archivakten bis zu Stifterdarstellungen in Rüstung.
Zentral für Jansens Analyse ist die prosopographische Erfassung von 258 Rittern aus 69 städtischen Familien, die ein völlig neues Licht auf die soziale Durchlässigkeit im vormodernen Köln werfen. Er zeigt: Die ritterlich geprägten Geschlechter der Stadt waren politische und militärische Akteure, die bewusst an einem adligen Selbstbild festhielten – bis zu ihrem Bruch mit der Macht im Jahr 1396. Die nachfolgende, stärker bürgerlich geprägte Führungsschicht setzte sich zwar politisch durch, blieb aber kulturell auf Distanz zum Ritterideal ihrer Vorgänger.
Jansens Dissertation ist ein Meilenstein für die rheinische Stadtgeschichtsforschung – und ein Beispiel dafür, wie historische Forschung soziale Ordnungen und Identitätskonstruktionen kritisch hinterfragen kann.
Ebenfalls geehrt wurde Dr. Keywan Klaus Münster mit seinem biographischen Werk „Kardinal Schulte zwischen Kirche und Staat – Katholizismus im 20. Jahrhundert neu gelesen“. Dr. Keywan Klaus Münster erhält den Preis für seine umfassende Biographie über Kardinal Karl Joseph Schulte, Erzbischof von Köln von 1920 bis 1941. Münster rückt nicht nur eine bedeutende historische Figur ins Zentrum, sondern kontextualisiert Schultes Wirken in einer politisch extrem bewegten Zeit – vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis hin zur NS-Diktatur.
In seiner Laudatio hob Dr. Helmut Rönz hervor, dass Münster nicht nur die große Herausforderung meisterte, eine Biographie als Dissertation umzusetzen – sondern dabei auch die Rolle Schultes im LVR und die Beziehung zwischen Kirche und öffentlichem Raum mit bemerkenswerter Sorgfalt analysierte. Münster erschließt neue Quellen aus über zwei Dutzend Archiven weltweit – darunter in Rom, Paris und Washington – und beleuchtet auch bislang unbeachtete Felder wie Schultes Haltung zu sozialen Fragen, Bildungs- und Sexualpolitik.
Die Arbeit zeigt: Schultes Unpolitischsein war keine ideologiefreie Haltung, sondern ein ständiger Balanceakt zwischen pastoraler Verantwortung und politischer Realität. Münster porträtiert einen lernenden, suchenden Bischof, der innerhalb der katholischen Kirche um Handlungsspielräume und moralische Orientierung rang – oft zwischen Anpassung und Widerspruch. Seine Analyse bietet neue Perspektiven auf das politische Handeln der Kirche im 20. Jahrhundert und stellt damit einen bedeutenden Beitrag zur Katholizismus- und Landesgeschichte dar.
Die Linke im LVR gratuliert beiden Preisträgern herzlich und begrüßt die Entscheidung, den Wissenschaftspreis nach Edith Ennen zu benennen. Wissenschaftliche Arbeiten wie die von Dr. Jansen und Dr. Münster zeigen, wie Geschichte gesellschaftliche Strukturen hinterfragen, komplexe Zusammenhänge sichtbar machen und neue Perspektiven für Gegenwart und Zukunft eröffnen kann.
Gerade in Zeiten, in denen gesellschaftliche Debatten oft verkürzt oder emotionalisiert geführt werden, ist es von unschätzbarem Wert, dass der LVR mit dem Edith-Ennen-Wissenschaftspreis herausragende Forschung sichtbar macht und fördert. Der Preis steht für wissenschaftliche Tiefe, gesellschaftliche Relevanz und eine Kultur der kritischen Reflexion – Werte, die wir als Fraktion ausdrücklich unterstützen. Es ist ein gutes und wichtiges Zeichen, dass der LVR diese Auszeichnung vergibt – und damit zeigt, dass Geschichte eben nicht nur Vergangenheit, sondern auch Gegenwart und Zukunft ist.